Ja, ich guck’s. Und gerne!

Der gemalte Teaser aus dem Autorencontainer im australischen Dschungel. (c) by Micky Beisenherz
Der gemalte Teaser aus dem Autorencontainer im australischen Dschungel. (c) by Micky Beisenherz

„Waaaas? Du guckst diesen Dreck? Das ist doch menschenverachtend!“ – Das hör ich in diesen Tagen wieder öfter. Von Freunden, von Kollegen. Einerseits nett, dass die mir letztlich dann doch Niveau zutrauen. Andererseits schade, dass sie hier nicht meiner Meinung sind.

Ich halte das RTL-„Dschungelcamp“ nämlich tatsächlich für richtig gute Fernsehunterhaltung. Deshalb hier eine kleine Auseinandersetzung mit den wichtigsten Gegenargumenten.

„Diese Dschungelprüfungen sind gegen die Menschenwürde!“

Ich finde: Es ist nicht gegen die Menschenwürde, in Kakerlaken zu baden, durch eine von Krabbeltieren bevölkerte Höhle zu kriechen oder sehr sehr reife Eier zu essen. Ja klar, es ist eklig, herausfordernd, gegen unsere Gewohnheiten. Aber wenn Rudi Carell früher ne Torte ins Gesicht bekam oder Thomas Gottschalk in einem Fass Senf versenkt wurde, mag das denen (und uns) auch nicht gefallen haben.

Die Kandidaten dieser Sendung stellen sich Herausforderungen. Körperlichen und mentalen. Das ist das Grundprinzip, wenn man etwas gewinnen will: Grenzen überwinden, über den eigenen Schatten springen.

„Die Kandidaten werden vorgeführt!“

Also wenn überhaupt, führen sie sich selbst vor. Weil sie genau das am besten können, denn das ist auch außerhalb des Dschungels ihr Geschäftsmodell. Das Showgeschäft, der Promikult, das Fernsehen ist der moderne Zirkus: Hier werden Skurrilitäten, Sensationen, Attraktionen vorgeführt. Und wer Model, Comedienne, Popschlagersänger, blankziehend-schauspielernde Ex-Sängergattin oder Eventveranstalter sein will (und damit, wenn es gut läuft, viel Geld verdient), der spekuliert darauf, dass sich Zuschauer genau darauf einlassen. Das sehen wollen. Ihnen Gagen in die Taschen spülen.

Und wenn genau diese Zuschauer nun mal ein paar Tage ohne Scheinwerferlicht einen Blick hinter die Fassaden werfen können, einige ungeskriptete, spontane, wenig bis unkalkulierte (Re-)Aktionen bestaunen dürfen, bekommen sie endlich mal was Ehrliches fürs Geld. Ich find‘ das durchaus unterhaltsamer, der blonden Larissa beim Rattenerschrecken zuzuschauen als beim Geradeauslaufen in Designerklamotten.

Da wird diese Bussi-Bussi-Champagnergesellschaft mit der Attitüde des „Hach, was sind wir alle hip und wichtig und toll und schön und überhaupt“ durch einen kleinen Hubschrauberflug Richtung Waldlichtung dekonstruiert. Und wenn uns Zuschauern dann dieses offenbar schlecht erzogene Gör Larissa, die nicht eine Minute zuhören kann, die eigentlich ihre Hängematte auf der Stillen Treppe aufhängen müsste, wenn die uns also gehörig auf die Nerven geht, dann schicken wir sie eben in die Dschungelprüfung zum Austesten der eigenen Grenzen.

Im Produktionscontainer unten in Australien führen sie schon Buch über die häufigsten Kritikpunkte. (c) by Micky Beisenherz
Im Produktionscontainer unten in Australien führen sie schon Buch über die häufigsten Kritikpunkte. (c) by Micky Beisenherz

„Armes Deutschland! Dass sowas im Fernsehen kommt!“

Warum denn nicht? Für viele Menschen ist das Unterhaltung. Nicht wenige sagen: Gute. Gut gemachte (siehe unten). Und niemand wird gezwungen, es anzuschauen. Fernsehen ist ein Angebot. Es gibt keine Einschaltpflicht. Die Twitterer und Facebooker und Kommentierer, die jetzt überall schreiben, dass sie es ja nieeeeee gucken und schrecklich finden und überhaupt, frage ich: Wieso regt ihr euch dann darüber auf? Ignoriert es doch einfach und belastet euch damit nicht. Mach ich doch mit den ganze Scripted Reality-Formaten, Nachmittagstalkshows, Boxübertragungen und FilmFilmen auch, die mich nicht interessieren.

„Das ist doch Trash-TV!“

Nein, ist es nicht. Inhaltlich muss man die Sendung nicht mögen. Aber wer ein bisschen Ahnung vom Fernsehgeschäft hat, muss die Qualität der Arbeit anerkennen. Und zwar in allen Gewerken:

  • Schon beim Casting schaffen es die Macher, eine heterogene Gruppe zusammenzustellen, die verschiedene Zuschauergeschmäcker anspricht. Und die für Reibungspunkte, Allianzen und Konflikte im Camp sorgen. Und damit für den Stoff, aus dem man Geschichten erzählen kann.
  • Die Autoren der Einspielfilme, die das Campgeschehen zusammenfassen, beherrschen das Storytelling, also das Geschichtenerzählen, in Perfektion. Da hat jeder kleine Film seine Botschaft, seine klare Erzählhaltung, seine Pointe. Jeder Film bringt die Gesamterzählung der Staffel einen Schritt weiter. Als Musterbeispiel dient die Auftaktepisode der aktuellen, achten Staffel: Nach weniger als einer Stunde waren einem die Protagonisten vertraut, ihre Rollenzuweisungen umrissen, hatte man als Zuschauer Sympathien und Antipathien entwickelt. Welche Leistung das ist und dass es längst nicht selbstverständlich ist, hat im vergangenen Jahr „Promi Big Brother“ gezeigt. Ein seit Jahren etabliertes Format einer namhaften Produktionsfirma ist so grandios gescheitert, weil da offenbar Praktikanten die Filme zusammennageln mussten. Da war kein Fluss drin, das waberte alles ziellos hin und her.
  • Noch dazu kennt sich da unten im Dschungel offenbar einer mit Musik aus, der die Filme nicht mit dem ewig gleichen Privatfernseh-Hit-Mix zukleistert, sondern passende Perlen liebevoll reinmontiert.
  • Über die Autoren der Moderationstexte ist so viel geschrieben worden. Auf den Punkt, böse, hintersinnig, nah am Zuschauer, ohne Angst vor Selbstironie dem eigenen Sender und den eigenen Moderatoren gegenüber. Und immer ein bisschen auch mit dem Blick auf die Tagesaktualität. Ein bisschen „heute show“ im Grünen.
  • Und dazu zwei Moderatoren, denen man diese Texte einfach glaubt, die offensichtlich Spaß an ihrem Job haben. Die mit Mimik und Gestik die ihnen auf den Leib geschriebenen Pointen transportieren können. Wer Cindy und Pocher bei SAT.1 beim Scheitern zugesehen hat, weiß, dass auch das nicht selbstverständlich ist.
  • Schließlich trägt auch die … dingens … Verknappung dazu bei, dass die Zuschauer nach einem Jahr des Wartens wieder Bock auf die neue Staffel haben. Eventprogrammierung wie damals bei den Drombuschs.

So und jetzt können wir das hier in den Kommentaren oder bei Facebook gerne diskutieren.

Disclaimer: Mein Cousin Micky ist einer der Moderationsautoren für Sonja Zietlow und Daniel Hartwich und damit unmittelbar an der Sendung beteiligt. Ich mochte das Format allerdings tatsächlich schon vorher. Will aber ein gewisses Wohlwollen aufgrund familiärer Nähe nicht komplett ausschließen.

 

 

 

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