Wider die politische Gegenkorrektheit: Ich arbeite bei einer populären Radiowelle. Wir beschäftigen uns seit Mittwochmittag (08.01.2014) recht ausführlich mit der Tatsache, dass der ehemalige Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger Männer liebt. Und das öffentlich gesagt hat.
Dafür bekommen wir – wie auch die Kolleg_innen bei den anderen Medien – Reaktionen von Leser_innen und Hörer_innen. Viele zustimmende, die Hitzlspergers Schritt loben. Das sind die mit Namensnennung. Aber auch viele ablehnende, abwertende, hässliche. Die kommen dann meistens anonym. Einer meiner Facebookfreunde nannte diese Haltung sehr treffend „politische Gegenkorrektheit“.
Die könnte man jetzt einfach ignorieren. Ich möchte mich aber mal grad mit den Argumenten auseinandersetzen. Denn sie stehen ja für was: für einen Teil der öffentlichen Meinung. Und dann muss man(n), der die von Hitzlsperger wieder angestoßene Debatte lobt, sich diesen Argumenten auch stellen.
„Es sollte in Deutschland nicht soweit kommen, dass Mut dazugehört zu sagen ‚Ich bin heterosexuell‘.“ Schreibt ein veritabler Redakteur für Innenpolitik in einem Kommentar.
Hier wird die Problematik der Diskriminierung nicht-heterosexuell lebender Menschen lächerlich gemacht. Durch Aufbau eines Popanzes, dass die Schwulen die anderen diskriminierten. Da 90 bis 95 Prozent der Menschen heterosexuell sind, darf diese Gefahr als nicht-existent angesehen werden.
Ähnlich dieses „Argument“:
„So langsam bekommt man ja Minderwertigkeitskomplexe, wenn man nicht homosexuell ist.“ Oder: „Wird Schwulsein bald Pflicht?“
Neben der Absicht, die Diskussion ins Lächerliche zu ziehen, steckt hier auch die diffuse Annahme drin, anderen würde etwas weggenommen, wenn derzeit Benachteiligte mehr Rechte bekommen. Das ist natürlich Unsinn. Das Ehegattensplitting für Hetero-Paare sinkt ja nicht, nur weil auch verpartnerte Paare es in Anspruch nehmen können. Oder hat irgendein Ehepaar seine Ehe als minderwertig empfunden, seit auch zwei Männer oder zwei Frauen ihre Partnerschaften eintragen lassen dürfen?
„Haben wir denn keine anderen Themen?“ Ist gefühlt beinahe jeder zweite Kommentar von Konsumenten der Medienprodukte.
Erstens: Das les ich vor allem bei so emotional besetzten Themen wie „gleiche Rechte für Schwule und Lesben“. Artikel zu anderen für sie nicht relevanten Themen ignorieren die hier so eilfertigen Schreiber einfach. Ergo scheint sie dieses Thema ja doch zu interessieren. Aber sie erkennen es nicht als wert an, dass sich die Öffentlichkeit damit ausführlich beschäftigt. Weil die Menschen, um die es dabei geht, es nicht wert sind? Weil die Debatte ihnen die eigene Kleingeistigkeit, Engstirnigkeit, Intoleranz vor Augen führt?
Zweitens: Doch, haben wir. Die stehen auch auf denselben Nachrichtenseiten, finden in denselben Sendungen statt. Wen die mehr interessieren, der kann sich prima damit beschäftigen.
Drittens: Dies ist ein Versuch der Marginalisierung des Problems. Des Leugnens. Hier verhält sich der Kommentator wie der typische Troll in Internetforen, dem es Spaß macht, eine Debatte zu stören oder zu sprengen. Virtuell asoziales Verhalten im 21. Jahrhundert.
Viertens: Das Thema ist gesellschaftlich relevant. Wenn sich fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung potenziell nicht trauen, ihre Partnerschaft offen zu leben, weil ihnen Ressentiments entgegen gebracht werden, darf unsere aufgeklärte Gesellschaft das nicht hinnehmen. Angst und Mobbing auf den Schulhöfen, Nachteile im Beruf oder im Fußballverein und und und… Die Beispiele werden in diesen Tagen vielfältig diskutiert.
Und wenn sich dann noch zum ersten Mal in Deutschland ein fast noch aktiver 52-facher Nationalspieler outet, erfüllt das neben aller Relevanz des Themas noch den Nachrichtenfaktor des Besonderen.
„Was hat die sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit zu suchen? Das ist doch seine Privatsache!“
Grundsätzlich richtig, aber am Thema vorbei. Denn es geht ja darum, dass sexuelle Orientierung viel mehr ist als Verhalten im Bett. Sondern sie den Alltag prägt. Wenn mir der Kollege im Büro erzählt, er war am Abend mit seiner Frau im Kino, berichtet er mir damit ja auch gleich mit, dass er heterosexuell ist. Doch genau ein solcher Satz „Ich war mit meinem Freund gestern im Kino“ ist für viele schwule Männer eben nicht so selbstverständlich. Weil er transportiert „Ich bin anders als ihr, ihr könnt jetzt eure Vorurteile auf mich projizieren“. Und zwar so lange, wie es nicht wirklich auch in den Köpfen der Menschen egal ist, wen der andere liebt.
So lange aber braucht es Vorbilder, die Selbstverständlichkeit vorleben. Wer eignete sich dazu besser, als ein angesehener Fußballer. Wenn Kinder und Jugendliche sehen „Der ist cool und schwul – dann scheint das mit dem Schwulsein ja gar nicht schlimm zu sein“, dann prägt das ein tolerantes Weltbild.
Außerdem liest sich dieser Satz mit der Privatsache für mich auch anders: „Damit soll mich die Schwuchtel in Ruhe lassen, ich will gar nicht wissen, was die schwule Sau im Bett macht.“
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Dem gibt es nichts hinzuzufügen.habe es gerne bei FB geteilt.Gruss aus Castrop-Räume.Petra
Huch Rauxel natürlich…sorry Handy