“Locked in: Wach auf, wenn du kannst” heißt der erste Krimi von Holly Seddon. Ich habe das Buch für WDR 2 als Krimitipp besprochen.
Im Mittelpunkt steht Alex Dale, eine Journalistin mit Alkoholproblem. Die aber trotzdem Geschichten schreiben will. Hier kümmert sie sich um die Koma-Patientin Amy.
Amy ist so alt wie Alex: Anfang 30. Sie kommt aus der gleichen Gegend. Amy wurde vor 15 Jahren entführt, gefunden, schwer verletzt und liegt seitdem in einer Art Koma. Gefangen in ihrem Körper, ohne Verbindung zur Außenwelt. Daher auch der Titel des Buches “Locked in”. Alex möchte herausfinden, was damals wirklich mit Amy passiert ist, was die Geschichte dieser Frau ist, die hier weitgehend vergessen auf der Krankenstation liegt.
Schon früh am Tag betrunken
Da sie aber schon früh am Tag an die nächste Flasche Wein denkt, hat sie eigentlich jeden Tag nur ein paar Stunden Zeit, sich wirklich ernsthaft um was zu kümmern. Irgendwann wird der Zug zur Flasche zu groß. Und auch, wenn sie sich dann einredet, alles im Griff zu haben, fangen wir als Leser an, uns zu fragen: Was ist hier jetzt wirklich ihre reale Wahrnehmung, und was ist Einbildung? Kann sie ihrem journalistischen Instinkt noch trauen? Wann sieht sie klar und wann Sauvignon Blanc? Und was macht sie aus der Warnung ihres Arztes, dass sie so nicht mehr weitermachen kann, wenn sie noch länger als ein Jahr leben will.
Im Kopf der Koma-Patientin
Währenddessen liegt Amy im Bett. Abgeschnitten von der Welt um sie herum. Wir landen in Passagen des Buches mittendrin in ihrem Kopf. Denn zwischendurch wechselt die Perspektive zu ihr. Und das ist wunderbar, weil es uns als Leser genauso verwirrt, wie Amy verwirrt ist. Sie hat offensichtlich in ihren Gedanken – und die funktionieren ja – nicht realisiert, dass sie im Koma liegt. Dass ihr Leben sich nur in ihrem Kopf abspielt. Da gehen Erinnerungen und Erleben, Vergangenheit und Gegenwart durcheinander, bauen eine völlig eigene Welt. Die uns als Leser immer näher – wir sind ja im Krimi – an die Lösung des Falls führt. Denn letztlich geht es ganz klassisch um die Frage “Wer hat Amy das angetan?”. Ein Fremder? Oder doch jemand aus ihrem Umfeld? Ihr leiblicher Vater etwa, der in ihrem Leben nicht stattfand? Oder ihr damaliger Freund, der sie heute noch regelmäßig am Krankenbett besucht, vielleicht ja aus Schuldgefühlen?
Das klingt grau und kalt. Ist es auch. Letztlich beleuchtet der Roman mit Hilfe der beiden Frauen Alex und Amy die Welt mit kaltem Neonlicht. In den menschlichen Beziehungen ist hier kein Platz für gemütliche Wärme. Es geht um Macht, um Schuld, um Opfer und Täter.
Schnörkellos und sparsam
Das liest sich sehr schnörkellos. Sparsam formuliert. Da ist kein Dialog zu viel, keine unnützen Landschaftsschilderungen. Und die wenigen kurzen Sätze sind in ihrer Wirkung wuchtig. Manches am Stil ist dabei durchaus gewöhnungsbedürftig. Zum Beispiel wenn in einem Dialog, der am Telefon begonnen hat, offenbar zwischen zwei Absätzen einfach weggelassen wurde, dass sich die beiden miteinander Sprechenden inzwischen im selben Raum befinden. Nur bringt ja dieses “Verabreden / Auflegen / Ins-Auto-Setzen” die Handlung nicht weiter. Fällt also einfach weg. Wird gar nicht erst erzählt.
Autorin Holly Seddon ist neu im Krimi-Business. “Locked in” ist ihr erster Roman. Sie ist Britin, lebt mit Mann und vier Kindern schon länger in Amsterdam. Von Beruf ist sie Journalistin, hat jahrelang als Nachrichtenredakteurin gearbeitet, ist inzwischen freie Autorin für diverse Tageszeitungen und Onlinemedien.
Und warum soll ich das lesen? Weil es bei aller Kälte, bei allem Grau, dann doch auch Hoffnung gibt. Für wen und in welcher Form, das wäre jetzt hier zu viel verraten.
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