“Fürchte dich” fordert uns der britische Thriller-Autor James Carol in unserem heutigen Krimitipp auf. Ein Buch, das uns in die feine, exklusive Gesellschaft Hollywoods mitnimmt. Aber unter widrigen Umständen. Ich habe das Buch für WDR 2 besprochen.
Wir befinden uns im Alfie’s. Einem der exklusivsten Restaurants von Los Angeles. Selbst die wichtigsten Leute Hollywoods müssen hier Monate auf einen freien Tisch warten. Und jetzt sitzt die High Society der Traumfabrik hier plötzlich unter nicht mehr ganz so exklusiven Bedingungen fest: keiner mehr in der Küche, nackt bis auf die Unterwäsche, ein Geiselnehmer mit Waffe und Sprengstoffgürtel hat das Kommando übernommen, und der Handyakku ist auch fast leer. Das größte Problem aber ist: Der Geiselnehmer rückt nicht mit der Sprache raus, was er eigentlich will. Fängt an, Psychospielchen zu spielen.
Geiselnehmer zwingt zu Lebensbeichten
Er hält seinen Geiseln einen großen Spiegel vor. Bildlich gesprochen. Will sie zur Ehrlichkeit zwingen. Ehrlichkeit ihm gegenüber und mit sich selbst. Da geht’s um nicht weniger als um Lebensbeichten. Und manch einer der glanzvollen Promis fürchtet sich da mehr vor dem, was er im Spiegel sieht, als vor der Kugel im Kopf. Aber wer nicht mitmacht, hat seine letzte Rolle gespielt.
Spannend neben diesen Lebensbeichten ist für den Leser die Frage: Bei alledem, was die Geiseln so beichten, frage ich mich doch die ganze Zeit: Wo führt das hin? Was will der Geiselnehmer am Ende? Was ist sein Motiv? Und natürlich die Frage, wer stirbt und wer überlebt.
Wann ist ein Leben vergeudet?
Letztlich sind die Fragen hinter der Handlung noch viel spannender als der Plot selbst. Zum Beispiel: Wann ist ein Leben sinnvoll? Und wann ist es vergeudet? Das fragen sich nämlich manche der Geiseln, die plötzlich all ihres Glanzes und ihrer Bedeutung als Schauspieler, Model oder Produzent beraubt sind und im wahrsten Sinne des Wortes nackt dastehen. Diese Situation, wenn in Sekunden das ganze Leben an einem vorbeifliegt und nichts hängenbleibt, die ist hier an ein paar Beispielen sehr anschaulich. Oder auch die Frage, wieviel ein Menschenleben wert ist: 3 Millionen oder nichtmal die 50 Cent für die Kugel, die es beendet?
Klingt zynisch, so ist das Buch aber nicht. Sondern manche seiner Figuren. Selbst einige der Reporter fangen an, Wetten abzuschließen, wer der nächste ist, der freigelassen oder erschossen wird. Da ist selbst der abgefuckte Chef vom Dienst in der Sendezentrale mal einen Moment sprachlos.
Kritik am zynischen Mediengeschäft
Ja, die Medien bekommen auch ihr Fett weg. Denn natürlich stehen die Kamerateams vor dem Restaurant mit den Geiseln und übertragen live. Da warten die Reporter auf das nächste spektakuläre Bild, auf das erste Interview mit der freigelassenen Geisel. Und während die noch gar nicht frei ist, verhandelt der Agent schon im Hintergrund mit den Sendern über den Preis. Da wird uns als Lesern klar: Auf der anderen Seite der Restauranttür – also draußen – ist das, was für die Geiseln drinnen blutiger Ernst ist, irgendwie auch nur Hollywood. Nachrichten als Show.
Fazit: Ein Buch, in dem mir keine Figur nur sympathisch oder unsympathisch ist, über das ich gerade deshalb viel nachdenke – schon beim Lesen – und das mich außerdem noch spannend unterhält.
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