ESC-Check 2015

Alle 40 Songs, alle 40 Interpreten: Hier kommen sie unter den verbalen Hammer. 

Christian: Ich hab diesmal wirklich während des ersten Guckens geschrieben, und ohne vorher groß was über die Interpreten, die Songs oder die nationale Auswahl gelesen zu haben. Meine Kommentare daher sehr subjektiv, bestimmt nicht so informativ wie die auf eurovision.de – aber dafür meinungsfreudig.

19. Mai  |  1. Halbfinale:

Albanien: Elhaida Dani – I’m alive

Christian: Besteht der Song nur aus Refrain? Berührt mich null. Nächster! 

Armenien: Genealogy – Face the shadow

Christian: Abgesehen von dem wirklich tollen, Tim-Burton-haften Video: Das Spiel mit den drei (und später noch mehr) Stimmen gibt dem Song was sehr Reizvolles. Speziell. Ich mag’s.

Belgien: Loïc Nottet – Rhythm inside

Christian: Abgesehen von der ungesund-blutleeren Gesichtsfarbe des Sängers catcht mich der Song in seiner Reduziertheit. Ra-pa-pa. Rhythm inside: Der Titel verspricht nicht zu viel. Kommt auf meinen iPod. Außerdem mag ich den französischen Akzent in seinem Englisch. Frage nur, ob er die pralle Mehrstimmigkeit im Refrain auch live auf der Bühne in Wien hinbekommt.

Dänemark: Anti Social Media – The way you are

Christian: Und jetzt alle klatschen! Das kann super ab sofort bei WDR 4 laufen. So gewöhnlich. Ein Ohrwurm, ja, aber ohne Besonderheiten. Nichtssagend, aber macht gute Laune.

Estland: Elina Born & Stig Rästa – Goodbye to yesterday

Christian: Eins der Duette. Mit zwei schön kontrastierenden Stimmen. Ungewöhnlich instrumentiert: Ich mag auch die Streicher und Blechbläser zwischendurch. Ein wirklich schöner Song, der was sehr NickCave-haftes hat. Sei ihm gegönnt, wenn er ein ähnlicher Klassiker wird wie „Where the wild roses grow“.

Finnland: Pertti Kurikan Nimipäivät – Aina mun pitää

Christian: Ich kann mit dieser Art von „Musik“ nichts anfangen. Auch nicht, wenn Menschen mit Behinderung sie zur Aufführung bringen. Dieses Kalkulieren auf Mitleidspunkte find ich ziemlich ätzend. Und wird den Musikern auch nicht gerecht. Und ja: Auch Menschen mit Behinderung haben das Recht, dass man offen sagt, wenn man ihre Musik doof findet. So wie ich diesen Song. Auf keinen Fall finalwürdig.

Georgien: Nina Sublatti – Warrior

Christian: Asiatische Schwertkämpfer sind ja ne ganz alte georgische Tradition. … Nicht? Ach so. Na dann ist das einfach nur ne eiskalte Krachnummer von so ner Brüllamazone. Schrecklich.

Griechenland: Maria Elena Kyriaku – One last breath

Christian: One last breath. Jau. Hätte sie den vor dem Singen getan, den letzten Atemzug: Wir hätten nix verpasst. Ihre Versuche der großen Geste wirken einfach nur lächerlich.

Mazedonien: Daniel Kajmakoski – Autumn leaves

Christian: Heino würde sagen: „Ja, ich finde, du hast das ganz gut gesungen.“ Dieter darauf: „Ja aber das Lied ist Scheiße. Das ist so austauschbares Trallala!“ Da nützen auch die gelben Schuhe nix. Vielleicht hätte er Englisch singen sollen, damit ich verstehe, was er von mir will? Hmm…

Moldawien: Eduard Romanyuta – I want your love

Christian: Einer der Songs für die Stimmung in der Halle. Was zum Wachwerden. Würd ich mir auch auf den iPod packen und kann gar nicht genau sagen, warum.

Niederlande: Trijntje Oosterhuis – Walk along

Christian: OSTERhaus heißen, die ganze Zeit EI EI EI singen… Deutet das auf die Auferstehung der Niederlande als ESC-Nation hin? Nee, weil die Nummer einfallsloser Käse ist.

Rumänien: Voltaj – All over again

Christian: Einfach nur aus dem Song heraus hätte ich nicht verstanden, dass es um drei Millionen Rumänen geht, die im Ausland arbeiten und ihre Kinder zurücklassen. Für so eine traurige Botschaft ist der Titel auch einfach zu austauschbar, zu billig, zu simpel.

Russland: Polina Gagarina – A million voices

Christian: Zum Kotzen, wenn ausgerechnet Russland mit so einem Friede-Freude-Eierkuchen-Propaganda-Video für die Segnungen von Schwangerschaft und traditioneller Familie mit vielen Kindern um die Ecke kommt. Da kann die Sängerin noch so sympathisch wirken, der Song noch so eingängig sein, die Kinder und alten Leute noch so niedlich: Der reaktionäre Unterton dieser Nummer disqualifiziert die für mich. Sorry.

Serbien: Bojana Stamenov – Beauty never lies

Christian: Catchy Refrain. Und nach zwei Minuten dreht die Nummer mit harten Beats richtig auf. Erst hab ich mich gefragt: Was soll das? Aber dann… och irgendwie mag ich das. Und Schluss ist erst, wenn  die dicke Frau nicht mehr singt.

Ungarn: Boggie – Wars for nothing

Christian: Die Band wirkt wie ne Mischung aus WG und Kelly Family. Was nicht nett gemeint ist. Kam nach einer Minute noch was? Ich war kurz eingenickt. Hab mir die Botschaft erklären lassen: Krieg ist Scheiße. Ach was?!

Weißrussland: Uzari & Maimuna – Time

Christian: Meine Güte, der knödelt ja wie Till Schweiger! Mit ner Stimme, die dünner ist als ne Lage Esspapier. Ein Lied, das ungefähr deren Nährwert aufweist. Wahrscheinlich hat dem Diktator die Geigerin gefallen.

21. Mai  |  2. Halbfinale:

Aserbaidschan: Elnur Hüseynov – Hour of the wolf

Christian: Diese verzweifelt leidenden Männerstimmen mag ich ja sehr. Das Lied haben wir so oder ähnlich aber leider schon zu oft beim ESC gehört.

Irland: Molly Sterling – Playing with numbers

Christian: Ich steh auf so Frauenstimmen, die zwischen brav und Shakira-dreckig oszillieren. Aber hier ist der Song ein bisschen zu grundlangweilig. Weiß nicht genau, ob er traurig, kraftvoll, aufbegehrend sein will. Schade.

Island: María Ólafsdóttir – Unbroken

Christian: Die sieht doch ein bisschen aus wie unsere Lena, oder? In barfuß. Öder Song. Vielleicht versucht sie’s erstmal bei The Voice Kids…

Israel: Nadav Guedj – Golden boy

Christian: Wieviele Styles kann man in einen Song packen? Tradition trifft Moderne. Party on! Sehr cool.

Lettland: Aminata – Love injected

Christian: Plötzlich schreit die mich mit diesem Refrain an. Diese Frau, die aussieht wie ne Mischung aus Gospelchor und Schlangenbeschwörung. Und das Lied? Soll sowas wie ne Melodie haben. Ich hab sie in dem ganzen Gewummer und Geschrei nicht wirklich ausmachen können.

Litauen: Monika Linkyté & Vaidas Baumila – This time

Christian: Mir geht die Klampfe schon nach 10 Sekunden derbe aufs Trommelfell. In seiner übertriebenen gute-Laune-hektische-Lichtshow-Hyperaktivität seh ich diesen Song eher auf der Schlagerparty im Revierpark Wischlingen als beim ESC. Eine der schlechtesten Nummern des Jahres.

Montenegro: Knez – Adio

Christian: Schöne Geige, es folgt eine traurige Balkan-Ballade, die eher was fürs Split-Songfestival ist. Aber nichts für den europäischen Massengeschmack. Und der Schnurrbart geht gar nicht!

Malta: Amber – Warrior

Christian: Dünne Stimme aus dicken Lippen. Da nützt auch die Warrior-Gestik nix, sie bleibt als Kanonenfutter auf dem Schlachtfeld des Halbfinals zurück.

Norwegen: Morland & Debrah Scarlett – A monster like me

Christian: Gesungene Lebensbeichte mit gebrochener Stimme. … Was hat die Frau da am Kopf? Mach das weg! … Der Schöne und das Biest? Als der Song dann sehr erwartbar hintenraus doch noch ein bisschen Fahrt aufnimmt, ist er mir auch schon egal.

Polen: Monika Kuszynska – In the name of love

Christian: Bei den ersten Klaviertakten klang es noch wie ein Staffelcast-Song von DSDS mit Dieter Bohlen am Klavier. So bliebs dann auch. Musik von der Stange. Gehört … Vergessen. Wie hieß der Song noch?

Portugal: Leonor Andrade – Há um mar que separa

Christian: Ist das Lederstrapse da unter dem langen Kleid?  Angemessen böse guckt sie uns auch an. Während sie eine Aneinanderreihung belangloser Töne (oder eine belanglose Aneinanderreihung von Tönen?) – es ist übrigens offenbar ne Gummihose – während sie das also uninspiriert runtersingt. Um nicht leiert zu sagen.

San Marino: Michele Perniola & Anita Simoncini – Chain of lights

Christian: Ein liebliches Duett. Mit allem, was ein ESC-Song seit 60 Jahren haben muss. Bisschen Bombast. Licht is ne super positive Botschaft. Love shine a light. Und am Ende Emotionsfaust. Ach so: von Ralph Siegel. Na dann: Gute Nacht!

Schweden: Mans Zelmerlöw – Heroes

Christian: Das ist ne potenzielle Siegernummer. Der Titel geht nach vorne, fängt ruhig an, dreht dann auf. Der Sänger bringt das auf den Punkt auf die Bühne. Und die Licht-Comic-Effekte sind das i-Tüpfelchen. Wirklich toll, wenn die es schaffen, das so auf die Bühne in Wien zu bringen. Klar, Schweden weiß genau, wie man ESC-Nummern zusammenstellt – aber diese hier nehme ich ihnen ab.

Schweiz: Mélanie René – Time to shine

Christian: Ich glaub der Frau kein Wort, keine Note. Das wirkt alles so einstudiert und runtergesungen, ohne jedes Gefühl. Da scheint nix. Alles duster.

Slowenien: Maraaya – Here for you

Christian: Katja Ebstein mit Duffys Knödelstimme. Irgendwie süß. Billige gute Laune. … Mein Highlight: die Luftgeige!

Tschechische Republik: Marta Jandová & Václav Noid Bárta – Hope never dies

Christian: Hymne, Duett, stimmgewaltig, Windmaschine – sowas funktioniert im ESC. Mir persönlich zu dick aufgetragen. Uuuuund: Hört euch mal Crazy von Aerosmith parallel zum Refrain an!

Zypern: Giannis Karagiannis – One thing I should have done

Christian: Mann! Krich die Zähne aussenander! Hätte unser Omma ihm zugerufen. Da hilft ihm auch dieser verschüchtert nerdige Ausdruck nix.

23. Mai  |  Fürs Finale gesetzt:

Australien: Guy Sebastian – Tonight again

Christian: Bevor ich die Nummer höre, eine Vorbemerkung: Weil mein Favorit Kümmert … Sie wissen schon … bin ich in diesem Jahr nicht für Deutschland. Weil aber der ESC vielleicht in Deutschland ausgerichtet wird, falls Australien gewinnt, will ich das genau so. … So, und jetzt mal gucken:

Christian: Die Halle jubelt. Keiner sitzt mehr. Alle bewegen sich. Ein bisschen Sam Smith in der Stimme. Soulfunk wie bei Bruno Mars. Sehr frisch. Ein Radiohit. Wäre kein unberechtigter Sieger.

Deutschland: Ann Sophie – Black Smoke

Christian: Sie war ja nur die Zweite. Es hat mehrere Wochen täglichen Hörens bedurft, bis ich den Song im Ohr und akzeptiert hatte. Soviel Zeit haben die meisten Hörer beim ESC nicht. Das ist einfach zu seelenlos, zu perfekt. Zu gewollt.

Frankreich: Lisa Angell – N’oubliez pas

Christian: Guck nicht so böse! Oder ist das traurig? Die gute Frau wirkt auf jeden Fall wie ein hungriger Bullterrier mit Zahnlücke. Was das Lied noch tiefer in seiner schläfrigen Belanglosigkeit versinken lässt. Einer der mieseren Chansons der französischen Musikgeschichte. Und die Musik soll von „Undo“ geklaut sein, wird mir auffem Sofa von rechts eingeflüstert. Auch das noch!

Großbritannien (UK): Electro Velvet – Still in love with you

Christian: Die alten Zeiten sind ja sowas von hipp. Jetzt also Electro-Swing. Hurts haben mich mit dieser 50er-Jahre-Optik ja auch schon gekriegt. Problem: Auch die Briten dürfen im Wettbewerb keine 30 Tänzer auf die Bühne bringen. Aber die Nummer funktioniert auch so. Geil. Gabs übrigens als Doop von Doop schonmal im Jahr 1994 als großen Hit aus den Niederlanden.

Italien: Il Volo – Grande Amore

Christian: Du könntest mir auf Italienisch das Telefonbuch vorlesen, ich würd’s mögen. Aber dieser neckische Spaß an der Töpferscheibe mit bunter Brille im künstlichen Regen ist mir irgendwie zu sehr Opernklamotte.

Österreich: The Makemakers – I am yours

Christian: Jesus am Klavier singt ein Liedchen ohne Höhepunkte. Titelverteidigung nicht zu befürchten.

Spanien: Edurne – Amanecer

Christian: Übernatürlich schöne Geschöpfe in phantastischer Computerlandschaft, das roteste Kleid des Wettbewerbs und eine der großen Hymne angemessene Windmaschine. Dazu ein bisschen Feuer – aber die Haare sitzen! Ein Song wie aus dem ESC-Retortenlabor: Fängt leise an, mächtiger Refrain, dann setzen treibende Beats ein, das ganze nimmt Fahrt auf … ach es langweilt mich so.

Das Fazit

Christian: Meine Favoriten sind eindeutig der Schwede und der Australier. Vordere Plätze gönne ich dem spannend instrumentierten Schwarzweiß-Duett aus Estland, dem armenischen Beitrag und der britischen Swing-Nummer. Ann Sophie wird für Deutschland im hinteren Mittelfeld landen – so rund um Platz 20.

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